Weninger in Ungarn - eine lange Geschichte
Written by Franz Weninger on the 22nd of May 2020Für unsere Vorfahren wäre dies keine Geschichte, da das Burgenland bis 1921 ein Teil von Ungarn war. Damals wurden wir deutschsprachigen Weinbauern „Bohnenzüchter“ genannt -weil wir neben Wein auch Gemüse und vor allem Bohnen in den Weingärten anbauten. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wurde diese Tradition aufgegeben und die Monokultur setzte sich durch.
Video: Oedenburger Ponzichter, man sieht auch die Ernte in unserem Steiner Weingarten um 1936
Mein Vater wuchs sozusagen am Ende der Welt auf. Zehn Kilometer von der Grenze zum Osten entfernt. Während des Kalten Krieges wurde dieser Osten zum kollektiven Bösen, doch das konnte die Neugier meines Vaters nur steigern. Wie lebten die Ungarn wirklich und was gab es da zu entdecken?
Als sich dann die Grenze nach dem Fall der Berliner Mauer öffnete und das Reisen viel einfacher wurde, sprang er ins Auto und entdeckte das Land.
Es war dies die Zeit der Modernisierung des burgenländischen Weinbaus. Wie in vielen Weinregionen der Welt wurde diese Modernisierung und Technisierung vor allem durch den Weinkritiker Robert Parker getrieben und so hielten neues Holz, Merlot und Cabernet Sauvignon Einzug ins Burgenland.
Auf seinen Reisen nach Ungarn entdeckte mein Vater Villány - eine Region im Süden des Landes, an der kroatischen Grenze. Dort wurde Cabernet Franc angebaut, und das schon seit 1881. Der Rebenzüchter Teleki (dem die Unterlagsrebe T5C zu verdanken ist) hatte einst begonnen, neben der Unterlagenzüchtung auch Reben aus Frankreich zu importieren.
Warum sich mein Vater aber in Villány verliebte, waren die altertümliche Mundart der dort ansässigen Donauschwaben und die Wärme, mit der er aufgenommen wurde.
So kam es, dass er im Jahr 1992 mit Attila Gere, einem damaligen Förster, eine Kellerei in Villány gründete und kräftig investierte. Meine Mutter war außer Rand und Band und voller Sorge um das hart erarbeitete Geld, aber mein Vater (immer schon ein Sturkopf) ließ sich nicht abbringen und behielt recht - bereits nach vier Jahren war aufgrund des tüchtigen Partners Attila Gere der neue Keller abbezahlt und die nächsten Investitionen konnten getätigt werden.
Ich kann mich noch gut erinnern an diese Zeit und vor allem, wie mein Vater oft stundenlang am Telefon hing und versuchte, über eine Vermittlung in Budapest eine Leitung nach Villány zu bekommen. Da war es oft einfacher, sich ins Auto zu setzen und die fünf Stunden Autofahrt in Kauf zu nehmen. Über schlecht asphaltierte Wege ging es in den Süden – auch diese Fahrten blieben nachhaltig in meinem Gedächtnis. Mich faszinierten neben den einsamen Ortschaften immer die unzähligen Pferdefuhrwerke, die wir überholten, und dann in Villány das Zusammentreffen so unterschiedlicher Persönlichkeiten. So wurden die Fahrten nach Villány zu einem Ritual in unserer Familie.
Da der Erfolg der Weninger-Gere Weine in Budapest unübersehbar wurde, wurden wir 1997 gefragt, ob wir Weingärten in Sopron kaufen wollten. Zuerst waren wir skeptisch, denn Blaufränkisch hatten wir auch in Horitschon und so nah konnte das Klima ja auch nicht so unterschiedlich sein. Aber als wir dann die angebotenen Weingärten besichtigten, blieb uns keine andere Wahl, als unsere Meinung zu ändern. Bei verhangenem Himmel fuhren wir auf den Weinberg und gerade als wir ankamen, lichtete sich der Nebel und vor uns lag der Neusiedlersee, so wie wir ihn noch nie gesehen hatten. Keine menschliche Siedlung zu sehen, nur Schilf, Natur und Wasser. Ein Boden aus Gneis und Glimmer mit einer Geschichte, die in Österreich nur die Wachau oder Rust haben.
Die ungarische Seite des Sees wurde bereits im Kommunismus zum Nationalpark erhoben – und zwar der gesamte Teil, womit dieser eine Fläche von 237 km² aufweist, im Vergleich zu den 97 km² auf der österreichischen Seite. So liegt dieser Teil des Sees sozusagen unberührt von Menschen und es ist eine unglaubliche Kraft, die von ihm ausstrahlt.
Meine Mutter war dennoch nicht überzeugt und wollte bei der notwendigen Firmengründung nicht mit dabei sein. Da es aber in Ungarn immer zwei Personen braucht, um eine Firma zu gründen, kam ich zum Zug. Und so bekam ich im Alter von 18 Jahren Weingärten mit einem wundervollen Blick auf den Neusiedler See und die Hoffnung auf die wirtschaftliche Entwicklung der Region.
Voller Elan starteten wir auf unseren ungarischen Böden und pflanzten als erste im Land internationale Sorten wie Syrah aus. Mit meinen ersten Jahrgängen ab 2000 wurde ich zu einem Shootingstar in der ungarischen Weinszene und gewann begehrte Preise.
Doch unsere anfängliche Hoffnung auch auf wirtschaftlichen Erfolg - so musste ich ab 2004 feststellen - wurde stark gebremst. So wie im restlichen Land schwanden die Hoffnungen der Ungarn auf den verheißungsvollen Westen langsam aber stetig.
In Österreich und auch international wollte niemand ungarischen Wein und auch der Verkauf in Ungarn selbst blieb hinter den Erwartungen zurück, da der Soproner Wein in Zeiten des Kommunismus leider einen schlechten Ruf bekommen hatte. Nach der Krise 2008/2009 kam dann der Höhepunkt, der Weinverkauf in Ungarn brach fast vollständig ein. Zum Teil war ich selbst daran schuld, denn meine Weiterentwicklung hin zu Eleganz und weniger Holzeinsatz, die Spontangärung und der Verzicht auf Filtration ab 2000 sowie der Einsatz von Beton und Amphoren ab 2006 führten, wie auch in Österreich, bei den Budapester Kunden zu Stirnrunzeln. Mein mit Freude kommunizierter Umstieg auf die Biodynamie trug mir noch zusätzlich den Ruf ein, durchgedreht zu sein. Meine Aussage, dass gewisse „Weinfehler“ sogar den Charakter eines Weines stärken können, führte dazu, dass ich in der immer stärker industrialisierten ungarischen Weinwelt mehr und mehr als Spinner betrachtet wurde.
So sah ich mich gezwungen, die Weine günstig ins Ausland zu verkaufen. Schön langsam zerbrach mein Traum. Wirtschaftlich wurde es immer schwieriger die Kredite für den neu gebauten Keller zu bedienen und ich rechnete schon damit, dass ich das Weingut verlieren würde.
Doch um 2010 änderte sich einiges. Die internationale Weinwelt verabschiedete sich von Parker und die Naturweinbewegung bekam Aufschwung. Die Kunden waren auf einmal offen für Neues und interessierten sich für ungarische Sorten und unbekannte Regionen. So kam es, dass ich mehr und mehr in den Top-Restaurants rund um den Globus gelistet wurde. Man kann sogar sagen, dass ungarischer Wein in dieser Szene zu einem Trend aufgestiegen ist. Gut zu beobachten ist dies daran, dass auch mehr und mehr österreichische Weine mit ungarischen Namen geschmückt werden.
Ich denke, ich hätte nie die ungarische Seele ganz verstehen können, wenn ich nicht auch dieses Tief erfahren hätte. Das Land scheint Melancholie zu lieben, nicht umsonst ist die ungarische Literatur dafür besonders bekannt. Die schier endlose Weite der ungarischen Ebene trägt dazu das ihre bei.
Doch nach jedem Tief kommt wieder ein Hoch, und so begann sich nach 2015 auch meine wirtschaftliche Situation zu ändern und meine Freude an den ungarischen Weingärten blühte erneut auf. Ein Beweis dafür sind auch unsere neuen Weine wie der Steiner Furmint und die grenzüberschreitenden Weine wie „Rózsa Petsovits“ und der bald auf den Markt kommende „Ponzichter“.
Weninger wäre ohne dieses Engagement in Ungarn sicher nicht das, was wir heute sind. Auch wenn wir manchmal kurz vor dem Aufgeben waren – diese Zeit hat uns geformt und unseren Blick auf andere Dinge gelenkt. Und schließlich haben uns diese Erfahrungen auch zu dem gemacht, wofür wir heute stehen.